Interview Natalie Potulski, Abitur 2008
- Wie haben Sie von der Abendschule/ der Möglichkeit, den Abschluss nachzumachen, erfahren?
Über diese Möglichkeit habe ich durch Verwandte und Bekannte erfahren. Meine Schwester hat ein paar Jahre vor mir auf diesem Weg das Abitur nachgeholt und mir viel Positives über das RVK berichtet. Sie hat am RVK Freundschaften geschlossen, hatte ein kollegiales Verhältnis zu den Lehrkräften und erzählte, dass sie Spaß daran hätte, auf die Schule zu gehen. Für mich war es zum damaligen Zeitpunkt undenkbar, dass Schule Spaß machen konnte. Ich hatte zusätzlich mehrere Bekannte, die ebenso zu dem Zeitpunkt Studierende am RVK waren. Somit hatte ich bereits mehrere Erfahrungswerte aus „erster Hand“, die mich dann letztendlich auch überzeugt haben, mein Abitur nachzuholen.
- Wie hat Ihr persönliches Umfeld reagiert (Freunde, Partner/in, Eltern, Kinder, Arbeitgeber)? Mussten Sie etwas vorbereiten und organisieren, um die Schule zu besuchen (z.B. Betreuung, Schichtwechsel etc.)?
Mein direktes Umfeld stand meinen Plänen äußerst wohlwollend und unterstützend gegenüber. Als ich mit dem Besuch der Abendschule begonnen habe, war ich gerade 17 Jahre alt, hatte einen eher mittelmäßigen Realschulabschluss (ehrlich gesagt war der Abschluss sogar ziemlich mies) und auch unzählige Bemühungen um einen Ausbildungsplatz waren gescheitert. Auch wenn das Vorhaben Abitur für mich vorerst bedeutete, dass die geplante Unabhängigkeit von den Eltern ein Stückchen weiter in die Zukunft rückt, war mir klar, dass das der „richtige“ Weg ist und vor allem, dass sich die Mühe eines Tages lohnen wird.
- Was war der Anlass/ Grund, einen Abschluss nachzumachen?
Nach Abschluss der Realschule habe ich mich bemüht, einen Ausbildungsplatz im Einzelhandel zu bekommen: Ausbildungsplatz, weil ich dachte „Irgendetwas muss ich machen.“ – und Einzelhandel, weil das irgendwie alle Absolventen in meiner Klasse gemacht haben. Es hagelte Absagen. Nach jeder Bewerbung und jeder Absage wuchs die Frustration darüber. Diese Situation war der Anlass, darüber nachzudenken, ob das wirklich das Richtige für mich ist und ob ein Hochschulstudium nicht doch interessant wäre. Als junger, heranwachsender Mensch wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht genau, worin meine Stärken und Schwächen bestanden und worin meine Interessen lagen. Außerdem hatte ich anfangs große Zweifel, ob ich das Abitur überhaupt schaffen würde, ganz zu schweigen von einem Hochschulstudium. Ich habe es mir schlichtweg nicht zugetraut.
- Welche Pläne hatten Sie mit dem Abschluss?
Ich habe damals in sehr kleinen Etappen-Zielen gedacht: Erst einmal den Realschulabschluss mit Qualifikation schaffen. Dann das Fachabitur schaffen. Das waren alles schon Erfolge für mich. Dass ich es dann bis zur allgemeinen Hochschulreife geschafft habe, hat mich sehr stolz gemacht. Die Zeit am RVK war auch eine Gelegenheit, mich selbst besser kennenzulernen. Erst da hat sich herauskristallisiert, dass ich kreativ arbeiten möchte und darin meine Stärke liegt. Am RVK war der künstlerische Bereich mein Schwerpunkt und alles, was damit in Zusammenhang stand, hat mir viel Spaß bereitet und den Weg in das Arbeitsleben eröffnet.
- Wie ging es weiter nach der Schule?
Nachdem ich das Abitur und somit die Berechtigung zum Besuch einer Hochschule „in der Tasche hatte“, war klar, dass ich etwas im Kreativbereich machen möchte. In meiner Zeit am RVK bin erstmals mit einem ehemaligen Lehrer in Kontakt gekommen, der kunst- und kulturinteressiert ist und mir, zusammen mit einer Mit-Studierenden, die Möglichkeit gab, bei einer Ateliergemeinschaft mitzuwirken. In der Buscheystraße in Wehringhausen eröffneten wir 2007 die „Kiez Kunst Kommune“, die als Arbeitswerkstatt diente und in der wir regelmäßig Ausstellungen veranstalteten. Ich bewarb mich zunächst ohne Erfolg für ein Kunststudium in Düsseldorf.
Daraufhin überlegte ich weiter, wie eine berufliche Zukunft aussehen könnte, bei der ich mich kreativ ausleben und gleichzeitig meinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Ich orientierte mich in Richtung Grafikdesign und begann mich für Praktika zu bewerben, in denen ich die nötigen „Basics“ vermittelt bekommen würde und landete bei einer Werbeagentur in Aachen. Nachdem ich mein erstes Praktikum erfolgreich abgeschlossen hatte, versuchte ich es erneut in Düsseldorf: Diesmal an der Fachhochschule für Design. Auch dieses Mal bekam ich eine Absage. Für mich war allerdings da schon klar: „Das ist es, was ich machen will.“ Daraufhin habe ich die Möglichkeit bekommen, eine Ausbildung zur Mediengestalterin Digital und Print bei einer Düsseldorfer Werbeagentur zu machen. Die Ausbildung habe ich in verkürzter Ausbildungszeit mit sehr gutem Erfolg beendet, doch die Idee „Studium“ ließ mich nicht los. Ich bewarb mich für ein Hochschulstudium in Kommunikationsdesign an der FH Dortmund und FH Krefeld und bekam gleich zwei Zusagen. 2013 fing dann das Studium in Dortmund an, welches ich 2018 mit dem Titel „Bachelor of Arts“ beendet habe.
- Im Falle eines Studiums: (Wie) ließen sich Studium und Berufstätigkeit vereinbaren? Wie konnten Sie das Studium finanzieren?
Während des Studiums habe ich durchgehend als studentische Hilfskraft an der Hochschule gearbeitet. Die Arbeitszeiten waren dabei immer so flexibel, dass es sich mit dem Studium gut vereinbaren ließ. Zusammen mit dem BAFöG konnte ich somit das Studium und den Lebensunterhalt größtenteils selbst finanzieren. Wenn es doch mal eng wurde, konnte ich hier und da auch auf die Unterstützung meiner Eltern zählen. „Große Sprünge“ konnte man damit nicht machen, aber es reichte zum Leben und ich konnte das recht kostspielige Design-Studium finanzieren. Anfangs war mir nicht bewusst, dass man unfassbar viel Material wie Papier, Werkzeuge zum Schneiden oder Binden und ähnliches benötigt. Dazu kommen Druckkosten von Semesterarbeiten, der Semesterbeitrag und vieles mehr. Den Kostenfaktor eines solchen Studiums sollte man nicht unterschätzen, es gibt aber immer gute Möglichkeiten, Arbeit und Studium zu verbinden. In der Endphase des Studiums habe ich begonnen, als freiberufliche Designerin zu arbeiten und war somit noch flexibler in der Gestaltung der Arbeitszeit.
- In welcher Form hat Sie die Schule auf das nachfolgende Studium/Ausbildung vorbereitet?
Ein wichtiger Punkt ist, dass ich mich aus eigener Motivation heraus für den Weg über das RVK entschieden habe. An der Regelschule war diese Motivation bei mir nicht vorhanden. Mir wurde klar: „Ich bin jetzt freiwillig hier, weil ich etwas erreichen möchte.“ Somit besucht man auch die Veranstaltungen mit einer anderen Ernsthaftigkeit. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass eigenständiges Arbeiten bzw. Lernen mehr gefördert wird, als es an einer Regelschule der Fall ist. Man ist selbst dafür verantwortlich, ob man den Unterricht besucht und ob man vorbereitet ist, oder eben nicht. Man lernt, Arbeits- und Lernstrukturen zu schaffen, die für einen individuell funktionieren, und das ist für den späteren Besuch einer Hochschule absolut von Vorteil. Aber der mitunter wichtigste Punkt für mich war es, dass ich hier die Möglichkeit hatte herauszufinden, was mir wirklich Spaß macht, und das im Rahmen der Abendschule ausprobieren konnte. Womöglich wäre ich sonst doch unglücklich im Einzelhandel gelandet.
- Was waren die schönsten Eindrücke der Schulzeit?
In der Zeit am RVK habe ich Freundschaften geknüpft, die mir bis heute erhalten geblieben sind. Eine gute Freundin von mir ist den Weg von der ersten Stunde an (Abendrealschule) bis zum Schluss (Abitur) mit mir gemeinsam gegangen. Wir haben oft zusammen gelernt, uns gegenseitig an anstehende Aufgaben erinnert und uns motiviert, auch wenn es zugegebenermaßen nicht immer ganz einfach war. Selbst wenn wir uns nach so langer Zeit wiedersehen, erinnern wir uns gerne an die Zeit an der Schule zurück.
- Was würden Sie heutigen Studierenden des RVK mit auf den Weg durch die Schulzeit geben?
Nutzt die Zeit um herauszufinden, was euch gut liegt, wo eure Stärken und Schwächen sind und probiert so viel wie möglich aus. Glaubt an euch selbst und daran, dass ihr schaffen könnt, was ihr euch vorgenommen habt. Und vor allem: durchhalten und am Ball bleiben, denn der Erfolg am Ende und die Möglichkeiten, die sich damit eröffnen, sind es definitiv wert.