Dem Plastik auf der Spur
Studierende des Rahel-Varnhagen-Kollegs nehmen am Projekt „Plastic Pirates – go Europe“ teil
Bereits im Frühsommer 2019 hat sich eine Gruppe Studierender mit dem Problem des in den Flüssen driftenden und an den Ufern vorkommenden Plastiks beschäftigt. Nachdem – coronabedingt- eine Beteiligung an der Messkampagne im Frühjahr für die meisten Schulen ausfallen musste, wurde nun eine Herbstkampagne ins Leben gerufen. Zum ersten Mal beteiligen sich nun auch Gruppen aus Portugal und Slowenien und untersuchen ab September die Müllverschmutzung von Flüssen. Die wissenschaftliche Koordination des großangelegten Projektes liegt bei der Kieler Forschungswerkstatt, die die Jugendaktion 2016 gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ins Leben gerufen hat. Unterstützt wird sie seit 2018 außerdem vom Ecologic Institut in Berlin. Anlässlich der Trio-Präsidentschaft von Deutschland, Portugal und Slowenien über die kommenden 18 Monate im Rat der Europäischen Union findet das Citizen Science Projekt nun im Zeitraum 2020-2021 erstmals in drei europäischen Ländern zeitgleich statt. Förderer sind das BMBF sowie das portugiesische Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Hochschulbildung und das slowenische Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Sport.
Linda Mederake, Ecologic Institut, hebt die gesellschaftspolitische Bedeutung der Aktion hervor: „Die Teilnahme an der Aktion ‚Plastic Pirates – Go Europe!‛ führt dazu, dass Schülerinnen und Schüler das eigene Konsumverhalten überdenken. Außerdem können mit Hilfe der Ergebnisse, beispielsweise der Menge von Einwegplastikfunden, politische Handlungsempfehlungen formuliert werden.“ Und Doris Knoblauch, ebenfalls vom Ecologic Institut, ergänzt: „Gerade Einweg-Plastik bleibt auch in Zeiten der Corona-Pandemie eine große Herausforderung, unbenommen der vielen Vorteile, die Einwegprodukte gerade in der Gesundheitsbranche mit sich bringen. Wie die veränderten Bedingungen sich auf Plastikmüllfunde an europäischen Flussufern auswirken ist dabei eine der Fragestellungen des Citizen-Science-Projekts und wir sind sehr auf die Ergebnisse gespannt.“ Während des Projekts werden folgende Fragen untersucht: Wie viel Plastikmüll findet sich an und in europäischen Flüssen? Woher stammt der Müll? Und werden auch kleine Plastikpartikel in europäischen Flüssen Richtung Meer transportiert?
Dazu erstellte eine Gruppe Studierender ein Transekt vom Flussrand über die Flussböschung bis zur Flusskrone. In jedem Abschnitt wurde an 3 Stationen 1 A-C (Durchmesser 3m) Müll aufgesammelt, gezählt und sortiert. Ein gleiches Vorgehen erfolgte bei zwei weiteren Transsekten (2A-C, 3A-C), um Vergleichswerte zu haben, dann erfolgte die Berechnung von Müll/m². Erstaunlicherweise fand sich sehr wenig Müll am Ufer, etwas Papier und eine Flasche in unmittelbarer Ufernähe. Die zweite Gruppe sammelte und kategorisierte Müllobjekte am Flussufer und berechnete den Anteil an Einweg-Plastik in %, während eine dritte Gruppe Proben mit dem Mikroplastiknetz aus der Ruhr entnahm, nach treibendem Müll suchte und das „gefangene“ Mikroplastik aus dem Netz auszählen und klassifizieren sollte. Nebenbei wurden Fließgeschwindigkeit und Flussbreite bestimmt.
Die Menge der aufgenommenen Daten macht sie so wertvoll, da sie einen weitgefächerten Überblick über das Vorkommen an Plastikmüll in und an den Flüssen bieten. „Seit 2016 wurden in der Kieler Forschungswerkstatt die Daten von 749 Schulen und Organisationen sowie insgesamt mehr als 14.000 Teilnehmenden zusammengetragen. Dabei zeigt sich, dass Plastikteile und Zigarettenkippen einen Großteil des Mülls an deutschen Flussufern ausmachen. Die Flussbesucherinnen und -besucher sind hauptsächlich für diesen Müll verantwortlich. Außerdem hat sich gezeigt, dass auch in Deutschland Mikroplastik in vielen Flüssen ein Problem darstellt.“ Die erste Aussage lässt sich aus den Daten der Messungen von 2019 bestätigen. Auf einem Uferstreifen von 200 m fanden sich 25 Müllteile, davon waren 24% Einwegplastik und 56% Zigarettenstummel. Bei den aktuellen Ergebnissen, bei denen dieses Mal das Dortmunder Ufer abgesucht wurde, kam auch einiges an Freizeitmüll zu Tage.
Besonders auffällig war der Müll, der nicht in den Messbereichen, aber an den weiteren Wegen, der Treppe zur Brücke und vor allem in der Nähe des Parkplatzes lag. Offenbar ist einigen Menschen der Gebrauch von Papierkörben unbekannt und auch die Entsorgung an der Müllverbrennungsanlage oder bei Wertstoffhöfen scheinen mit zu viel Aufwand verbunden zu sein – eine merkwürdige Einstellung, den Ort, an dem man sich erholen möchte, so einzusauen.
Wie auch im vergangenen Jahr, war kein treibender Müll während der einstündigen Beobachtung zu entdecken, lediglich Pflanzenteile von den Bäumen am Ufer und eine Ansammlung von treibenden Algen. Die Inspektion des Netzes ergab ebenfalls keine Plastikteile.
Spannend wird nun der Vergleich mit anderen Gruppen, die möglicherweise ebenfalls an der Ruhr oder ihren Zuflüssen gemessen haben. Ist die Belastung mit Mikroplastik in der Ruhr wirklich so gering, wie unsere Messungen andeuten? Im Frühjahr wird eine weitere Gruppe Messungen machen, dieses Mal wollen wir versuchen, das Fangnetz mit einer sehr langen Leine von der Brücke abzuseilen, um so in die Mitte des Flusses zu gelangen. Am Rand ist die Strömung deutlich geringer, vielleicht sedimentiert hier das Mikroplastik eher. Auch das wäre eine Erweiterung der Fragestellung, der wir nachgehen können, in dem wir im Frühjahr versuchen, Sedimentproben aus dem ufernahen Bereich zu nehmen.
Sollte sich zeigen, dass auch bei einer Variante der Messmethode kein oder wenig Mikroplastik nachzuweisen ist, wird auf jeden Fall ein Anwohner der Ruhr besonders davon profitieren: Der Eisvogel. Während das Fangnetz im Wasser dümpelte, zischten zwei der funkelnden gefiederten Räuber am gegenüberliegenden Ufer vorbei. Eisvögel brüten in selbstgebauten Röhren in lehmigen und steilen Uferwänden und ernähren sich stoßtauchend von kleinen Fischen, Wasserinsekten, Kaulquappen und Kleinkrebsen, die in langsam fließenden oder stehenden Gewässern vorkommen. Untersuchungen zur Einlagerung von Mikroplastik in Süßwasserfischen laufen noch. Vornehmlich finden sich die Partikel im Darm der Fische, würden also vom Eisvogel aufgenommen. Der Eisvogel jagt von einer Sitzwarte aus. Auf die kehrt er zurück, um dort größere Beutefische totzuschütteln oder dagegen zu schlagen, damit er sie dann Kopf voran verschlucken kann. Ein Gehölz bestandenes Ufer wie an der Ruhr ist daher ein gutes Jagdrevier. Hier sind die Vögel zumeist Standvögel, NRW beherbergt etwa 12% und damit den dritthöchsten Bestand des Eisvogels in Deutschland. Nach der im Brutvogelatlas veröffentlichten Ergebnisse, konnte er 2008 als derzeit nicht gefährdet entlassen werden (Sudmann et al. 2008). „Dies spiegelt die Verbesserung der Wasserqualität und die Renaturierung vieler Fließgewässer seit den 1970er Jahren wider. Ungeachtet dessen zählen weiterhin Beeinträchtigungen seines Lebensraums zu den bedeutsamsten Gefährdungsursachen. Denn lokal treten noch immer Entwertung und Zerstörung von Nahrungsquellen und Brutgelegenheiten durch Nutzungsbeeinträchtigung und Verfüllung auf. Oft fehlt es immer noch an Fläche für die Entwicklung einer natürlichen Fließgewässerdynamik mit der Entstehung natürlicher Nistmöglichkeiten.“ An Ruhr, Lenne und den Ruhrseen gehen durch die Freizeitnutzung Gefährdungen aus. Neben möglicher Belastung durch Müll sind hier vor allem Störungen durch Spaziergänger, Jogger, Hundehalter usw. möglich, die die Tiere aufscheuchen und besonders Störungen in der Nähe der Bruthöhle können dazu führen, dass die Alttiere sich nicht mehr trauen, die Höhlen anzufliegen und den Nachwuchs zu versorgen. Bedenkt man dann, dass in schlechten Jahren (kalte Winter, Hochwasser) die Mortalität der Tiere hoch ist und nur durch den normalerweise zahlreichen Nachwuchs wieder aufgefangen werden kann, sollte jeder, der das Gebiet zur Erholung nutzt, sich entsprechend verhalten, damit auch spätere Generationen noch die fliegenden Edelsteine bewundern können.