Rahel-Varnhagen-Blog

Eine Ära geht zu Ende – Fragen an Dr. Bernhard Kühmel

Eine Ära geht zu Ende – Fragen an Dr. Bernhard Kühmel

Foto: Bettina Freund

Er hat dem Rahel-Varnhagen-Kolleg ohne Zweifel seinen Stempel aufgedrückt, schließlich hat er das Weiterbildungskolleg der Stadt Hagen seit 1992 geleitet. Nun geht er in den nicht ganz so ruhigen Ruhestand: Zeit, einen Blick in seinen Lebenslauf zu werfen und Dinge Revue passieren zu lassen.

Betrachtet man die Fächerkombination, die Dr. Kühmel unterrichtet, wird schnell deutlich, dass das Interesse am Menschen im Mittelpunkt steht. Ein Studium der Sozialwissenschaften, Geschichte und Germanistik gibt Anhaltspunkte über menschliches Miteinander, die Entwicklung von Gesellschaften unter verschiedensten Einflüssen und die Gedanken und Beweggründe von Personen. Ein einjähriger Aufenthalt im damaligen Ceylon, die Mitarbeit in einem Entwicklungshilfeprojekt, zeigt in dieselbe Richtung. Studien in Kunstgeschichte entsprangen anderen privaten Interessen.

Es gab viele Impulse, so erfolgte einerseits im Schwerpunkt Geschichte die Promotion, andererseits absolvierte Dr. Kühmel eine zweite Ausbildung im Bereich Psychologie, um sich zunächst Möglichkeiten bei der endgültigen Berufswahl offen zu lassen. Die nächste Station war das Lehramt an einem Gymnasium, einen Teil seiner Arbeitszeit verbrachte er als Fachberater beim Regierungspräsidenten, doch 1982 erfolgte der Wechsel in den Zweiten Bildungsweg, der ihn seit dem nicht mehr losgelassen hat. Ein Wechsel zurück an eine Tagesschule wäre für ihn nicht mehr in Frage gekommen, denn der Unterricht mit Erwachsenen hat seine Faszination. „Mit Erwachsenen arbeitet man anders und gleichberechtigt und der zweite Bildungsweg war damals eine Schulform, die nicht abgeschlossen war, das heißt, sie veränderte und entwickelte sich. Und zwar durchaus im Sinne der Teilnehmenden. Da der zweite Bildungsweg eine Angebotsschule ist, musste und muss sich auch heute die Schule kontinuierlich erneuern, um die Angebote zu machen, für die es einen Bedarf gibt.“ Im Gegensatz zu Jugendlichen hat jeder Studierende bereits seine Lebenserfahrungen gemacht. Das zeigt sich immer wieder in Diskussionen und macht den Blick aus der Perspektive des anderen so interessant. Vom Gegenüber noch etwas lernen, statt in einem hierarchischen Schüler/Lehrer-Verhältnis zu stehen, bleibt spannend, auch wenn die Themen einem festgelegten Curriculum folgen, bringt jeder neue Kurs etwas Neues.

 

Wenn jemand so hautnah und so lange den Werdegang im 2. Bildungsweg erlebt hat – welche Entwicklungen hat es gegeben?

Zunächst war der klassische Teilnehmer am Unterricht männlich, kam aus dem Arbeitermilieu oder einem Beruf, in dem er sich durch den Schulbesuch Aufstiegschancen erhoffte, mit einem klaren Ziel für die Zeit nach dem Abschluss, während heute die Studierenden eine heterogene Gruppe bilden, relativ jung sind und auch ganz unterschiedliche Gründe für den Besuch eines Weiterbildungskollegs haben. Für viele steht auch noch nicht genau fest, was sie nach ihrem Schulabschluss machen werden. Neben hoch motivierten Studierenden, welche souverän das e-learning-Angebot „abitur-online“ absolvieren, treffen wir auch auf Studierende aus bildungsfernen Milieus, die durchaus intensiv betreut werden müssen, um ihre 2. Chance wahrnehmen zu können.

 

Was waren die eindrücklichsten Veränderungen im Laufe der Zeit?

Nach kurzem Überlegen kommt die Antwort: „Die Errichtung von Außenstellen und die Orientierung hin zu Familienfrauen….“ Eine kontinuierliche Erneuerung und eine Entwicklung des Angebots nach Bedarf und im Sinne der Teilnehmenden sind die Pfunde, mit denen der Zweite Bildungsweg wuchern kann.

 

Das Rahel-Varnhagen-Kolleg hat während Dr. Kühmels Amtszeit bereits einige Standortwechsel hinter sich gebracht. Im Sommer 2016 ist es von seinem Standort in Wehringhausen nach Emst umgezogen. Wo liegt die wesentliche Veränderung, die der Umzug gebracht hat?

Die Gründe für den Umzug lagen darin begründet, dass die Stadt Hagen vor dem Hintergrund demographischer Veränderungen handeln musste, um dem veränderten Bedarf in der Schullandschaft gerecht zu werden. Das Ergebnis für das Rahel-Varnhagen-Kolleg ist ambivalent. „Erfreulich ist, dass nun endlich ein Gebäude vorhanden ist, das ausschließlich für diese Schule zur Verfügung steht und in den nächsten Jahren erwachsenengerecht ausgestattet werden kann. Ein Nachteil besteht darin, dass wir nicht in einem Stadtteil liegen, aus dem sich unsere Klientel rekrutiert.“ Aber die Vorteile überwiegen und Dr. Kühmel hofft, dass vielleicht über Angebote, die Menschen des Stadtteils einbeziehen, wie Lesungen im Literaturcafé oder Musikaufführungen, Hemmschwellen seitens der  Nachbarschaft beseitigt und die Integration der Schule an ihrem neuen Standort beschleunigt werden kann.

 

Wie sieht Dr. Kühmel die Zukunft des Rahel-Varnhagen-Kollegs?

Vermutlich wird die Zusammensetzung der Studierenden noch heterogener sein. „Wir werden zunehmend im Bereich der Flüchtlinge und Migranten arbeiten. Aber weniger in Sprachkursen, ein Teil dieser Gruppe, die bereits Integrationskurse abgeschlossen und gejobbt haben, wird Interesse daran haben, Schulabschlüsse in Deutschland nachzuholen, um neue berufliche Perspektiven zu entwickeln. Es wird weiter eine bunte Mischung bleiben mit Abitur Online, aber auch sehr jungen Studierenden.“ Aber es gibt auch noch weitere Zielgruppen, die vermehrt angesprochen werden und für die passgenaue Angebote erstellt werden sollten. Neben den Müttern sind es vor allem ältere Menschen, die ihr Wissen erweitern wollen. Das Prinzip des lebenslangen Lernens bezieht sich nicht nur auf die Angebote der Seniorenuniversitäten oder der Volkshochschulen, so mancher ist einfach neugierig die Dinge zu lernen, die ihm der bisherige Lebenslauf vorenthalten hat. „Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung besteht der zunehmende Wunsch von älteren Menschen, sich weiter zu qualifizieren. Es gibt ein zunehmendes Interesse, von Leuten, die aus dem Beruf ausgeschieden sind, aus welchen Gründen auch immer, die, wenn sie nun ausgeschieden sind, nicht gar nichts mehr machen wollen, sondern eine Möglichkeit suchen, sich weiterzubilden. Generell wird es zu einer größere Spreizung der Zielgruppen kommen.“

 

Zuletzt stellt sich die Frage nach den persönlichen Zukunftsplänen.

Nun ist endlich Zeit für Dinge, die bisher oft beiseitegeschoben werden mussten. Bereits seit langem besteht ein Interesse an Kunst und künstlerischer Arbeit, wobei primär Metallobjekte entstehen. Warum gerade Metall? Es ist ein Material, das sich während der Bearbeitung und auch im Laufe der Zeit verändert. Es verfärbt sich, korrodiert, entwickelt sich. Daher gehört die künstlerische Arbeit zu den Dingen, die Dr. Kühmel vertiefen möchte. Aber auch Biographieforschung, eine verstärkte soziale und politische Betätigung gehören zu den Plänen. Außerdem hat die Ruhr-Universität Bochum hinsichtlich eines Lehrauftrags angefragt, so dass der Ruhestand wohl nicht so ruhig werden wird.