Erfolgsgeschichten: Linda Gentgen, Abitur Sommersemester 2018
Ich wuchs in einer Familie auf, in der von Anfang an klar war, dass mein Bruder und ich Abitur machen und dann studieren würden. Nicht, dass unsere Eltern uns eine bestimmte Richtung vorgegeben hätten, es war unsere Entscheidung. Allerdings war Leistung ein wichtiges Thema in unserer Familie, und ich für meinen Teil war mir meines Lebenslaufes eigentlich sicher. Doch wie so oft im Leben laufen die Dinge nicht so, wie man sie sich wünschen würde. Ich geriet an die falschen Leute und durchlief in den darauffolgenden Jahren eine Reihe daraus resultierender persönlicher Krisen. Ich blieb sitzen, dem Unterricht fern und schmiss schließlich am Ende der 12. Klasse die Schule.
Daraufhin folgten einige halbherzige Versuche, mir eine alternative Lebensplanung zu überlegen, viele Neuanfänge, auf die schnell ein jähes Ende folgte, und eine weitere Reihe von Krisen. Ich war inzwischen Mitte 20 und hatte außer einer Menge Menschenkenntnis und Lebenserfahrung nichts in der Hand.
Ende 2013 rang ich mich schließlich dazu durch, einige längst überfällige Veränderungen in meinem Leben vorzunehmen und so endlich den Wendepunkt einzuleiten. Sich selbst und sein eigenes Verhalten kritisch zu hinterfragen und ernsthaft an sich zu arbeiten, erfordert eine spezielle Art von Mut. In der darauf folgenden Zeit lernte ich, diesen Mut aufzubringen und mit Stress besser umzugehen.
Im Sommer 2015 meldete ich mich schließlich am Rahel-Varnhagen Kolleg in Hagen an, um dort mein Abitur nachzuholen. Ich wusste, was ich studieren wollte, und um meinem Kindheitstraum ein Stück näher zu kommen, brauchte ich Abitur, auch wenn ich unbeschreibliche Angst hatte, ein weiteres Mal zu versagen.
Also betrat ich im August 2015 das erste Mal diese Schule, und war positiv überrascht. Die Lehrer waren (größtenteils) entspannt, die Mitschüler viel netter als befürchtet. Am RVK hatte ich das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, eine echte Klassengemeinschaft gefunden zu haben. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass es unwichtig war, woher ich kam. Es war nur wichtig, wohin ich wollte, dass ich etwas erreichen wollte, und man war bereit mir dabei zu helfen.
Ich machte die Erfahrung, dass ich keineswegs zu blöd für die Schule war, wie ich früher immer dachte, sondern dass es reichte, regelmäßig anwesend zu sein und seine Unterlagen beisammen zu halten, um gut zu sein und dafür sogar Anerkennung zu bekommen. Für mich eine gänzlich neue Erfahrung.
Ich lernte meinen besten Freund kennen und es entwickelte sich innerhalb der sehr diversen Klasse eine Vertrauensbasis, die mich sehr beeindruckte. Ich hatte trotz häufig unterschiedlicher Meinungen das Gefühl, dorthin zu gehören.
In den drei Jahren bis zum Abitur hatte ich viele Höhen und Tiefen, ich bin gescheitert und hatte auch Erfolge, habe Freunde gefunden und wieder verloren. Aber ich habe etwas durchgezogen, das erste Mal in meinem Leben.
Rückblickend war es wahrscheinlich eine der besten Zeiten meines Lebens, was nicht zuletzt am Konzept der Schule liegt. „Die etwas andere Schule“ ist ein Slogan, der viel mehr Wahrheit enthält, als man zuerst meint. Sie ist ein Platz für die, die durch alle Raster der Gesellschaft gefallen sind, und bietet ihnen die Chance, sich von ganz unten hochzuarbeiten.
Der Unterricht funktioniert normalerweise auf eine sehr lockere Art und Weise, die Lehrer erkennen an, dass die Gruppe aus erwachsenen Menschen besteht, weshalb das Konzept der Eigenverantwortung einen hohen Stellenwert hat.
Wenn der Druck dann in der H4 langsam steigt und in der Abi-Phase gipfelt, sind die Lehrer auch gern bereit, in Übungsstunden auch die dümmsten Fragen nochmal zu beantworten. In dieser Schule geht es nicht darum, Schüler auszusieben, die nicht ins Bild passen, wie es in vielen anderen Schulen der Fall ist. Es geht darum, dass jedem Schüler eine faire Chance gegeben wird, in seinem individuellen Rhythmus zu lernen und damit Erfolg zu haben.
Ich persönlich bin damit sehr gut zurechtgekommen und bin unglaublich froh und dankbar, dass mir diese Chance gegeben wurde, und vor allem dafür, dass ich diesmal in der Lage war, sie auch zu ergreifen.
Ich bin sicher, es gibt sehr viele junge oder alte Menschen, deren Leben leider nicht so gradlinig verlaufen ist, wie sie es sich gewünscht hätten, und sie vielleicht deshalb nicht den Lebensweg einschlagen konnten, von dem sie träumen.
Jedem, der das Gefühl hat, ihm fehle ein höherer Schulabschluss, um im Leben weiterzukommen, dem kann ich nur zu dieser Schule raten. Wenn man mit den Lehrern in Kontakt bleibt und mit ihnen über die Dinge spricht, die es einem vielleicht grade besonders schwer machen, dann findet sich eine Lösung.
Geht regelmäßig zum Unterricht, schämt euch nicht für das, was ihr seid oder nicht seid, geht offen miteinander um, schließt Freundschaften. Zusammen lässt sich die Schule oft besser ertragen als allein, und wenn ihr alles richtig macht, habt ihr dabei sogar noch ein bisschen Spaß, so wie ich.