Exkursion zum Neandertalmuseum, Januar 2017
Eine Exkursion zu den Anfängen der Menschheit
Text und Fotos: Bettina Freund
Aus dem Stammbaum der Menschheit ist längst die Vorstellung eines Stammbusches geworden mit vielfältigen Verzweigungen und Entwicklungslinien. Das Neanderthal-Museum in Mettmann zeigt in der Nähe des ursprünglichen Fundortes des bekanntesten und namensgebenden Neandertalers, eine
Ausstellung zur Geschichte der Menschheit. Zwar ist der originale Fundort den Abbautätigkeiten im ehemaligen Steinbruch zum Opfer gefallen, aber die Ausstellungsstücke vermitteln zum einen einen Eindruck der Funde, zum anderen geben sie über die Lebenswelt der Frühmenschen Auskunft. Bereits im Untergeschoss vermittelt ein Film im Auditorium wie Fachleute in akribischer Kleinarbeit aus rudimentären Knochen eine lebensechte Rekonstruktion erstellen können. Die niederländischen Präparatoren Adrie und Alfons Kennis haben unter anderem „Herrn Mettmann“ angefertigt. Zunächst werden die vorhandenen Knochen untersucht, besonders interessant sind die Muskelansätze und die Winkel, in denen die Knochen zueinander stehen. Wie dick das Fleisch und die Haut eines Menschen sind, ist vorhersagbar, beispielsweise sind die Fleischschichten über der Stirn dünn und über den Wangen dicker. Dann werden mit Modelliermasse die Muskeln entsprechend der Anatomie von Menschen und Affen geformt. Dünne Kunststoffschichten werden aufgebracht und das Gesicht ausgearbeitet. Sind Hautfalten, Lippen und alles, was typisch für ein Gesicht ist, fertig, wird eine Silikonform hergestellt mit der dann Abgüsse produziert werden können. In weiteren Schritten wird das Objekt eingefärbt und Feinheiten bearbeitet, Glasaugen und Haare einzeln eingezogen, so dass der Museumsbesucher einem lebensechten Frühmenschen gegenübersteht.
Die Figuren sind nicht durch Glas von den Besuchern getrennt, so lassen sich beispielsweise gut Größenvergleiche anstellen. Wie winzig waren die ausgewachsenen Australopithecinen? Die Darstellung des Homo erectus macht es einfach, sich diesen Frühmenschen als Wanderer vorzustellen, der seiner Nahrungsquelle, den Tierherden, in fruchtbarere Gebiete folgte, als sich seine Umwelt veränderte. Unter den Reproduktionen findet sich auch eine Berühmtheit: Gestatten, Lucy, eine Australopithecus afarensis-Dame. Sie trägt sowohl Merkmale, die noch an einen Affen erinnern als auch bereits welche modernerer Menschen. Den „Hobbit“, Homo floresiensis hat man in der Höhle Liang Bua auf der indonesischen Insel Flores gefunden. Die jüngsten Fossilien wurden auf etwa 12 0000 Jahre datiert. Demnach wäre er die letztn Menschenart gewesen, die gleichzeitig mit Homo sapiens lebte. Das bisher vollständigste gefundene Skelett war mit einem Meter Größe kleiner als ein heutiger Schimpanse. Trotz des geringen Gehirnvolumens von 400 cm³ hat der Hobbit wohl bearbeitete Werkzeuge benutzt und sich eher wie wesentlich weiter entwickelte menschliche Vorfahren verhalten. Da die Insel bereits sehr
lange von Australien und Asien isoliert war, nimmt man an, dass dieseFrühmenschen vielleicht aufgrund eingeschränkter Nahrungsressourcen geschrumpft sind.
Ein typisch menschliches Kennzeichen, das sich bereits frühzeitig entwickelte, ist der aufrechte Gang. Es gibt verschiedene Hypothesen, wie es dazu kam. Das Skelett des Turkana-Jungen – ein Homo ergaster – ähnelt, was seine Beine und das Becken betrifft, bereits sehr dem modernen Menschen. Er ist gelaufen wie wir, der Schädel wirkt aber noch affenähnlich. Berühmt sind auch die Fußspuren von Laetoli, von denen das Museum einen Abguss zeigt. Die Paläontologin Mary Leakey entdeckte in ca. 3,6 Millionen Jahre alten Schichten vulkanischer Asche die Fährten vieler Tierarten: Elefantenvorfahren wie dem
Deinotherium, Giraffen und auch Homininenspuren. Möglicherweise waren die Füße der Frühmenschen beweglicher, aber die Abdrücke zeigen, dass sie ihre Füße bereits so abrollten, wie wir es heute tun.
Die Fußspuren stammen wohl von einem kleineren und einem größeren Individuum, denen ein drittes gefolgt ist, was teilweise in der Spur des größeren lief, so dass diese Abdrücke stärker verwischt aussehen.
Zurück zum Namensgeber des Museums, dem Homo neanderthalensis. Sie waren wahre Kraftpakete. Kleiner, aber wesentlich muskulöser als der Homo sapiens, mit tonnenförmigem Brustkorb, prägnanter Nase und wenig ausgebildetem Kinn. Der Paläogenetiker Svante Pääbo konnte im Jahr 2009 nachweisen, dass es zur Vermischung zwischen Ne andertalern und Homo sapiens gekommen ist, noch
heute enthält das Genom von Europäern und Asiaten Neandertaler-Gene. Würde man einen Neand ertaler in zivilisierte Kleidung stecken – würde er unter den Menschen auf der Straße auffallen?
Das muss jeder selbst entscheiden, aber etwas ungewöhnlich wirkt er schon.
Die Rekonstruktion von „Herrn Mettmann“ berücksichtigt, dass die Originalfunde eine verheilte Verletzung am linken Ellenbogen aufweist, die Muskulatur ist deutlich schwächer ausgebildet. Jagen war sicher schwierig, aber der Mann war seiner Familiengruppe nützlich, denn er konnte Wissen an die Jüngeren weitergeben. Im Vergleich zu Homosapiens sapiens war der Neandertaler klein, aber ein wahrer Kraftprotz. Akribische Beobachtung und detaillierte Dokumentation bilden die Grundlage anthropologischer und paläontologischer Studien. Im Museum folgt man einem spiralförmigen Weg, der die Entwicklung zum modernen Menschen nachvollzieht. Die Frühmenschen entdecken das Feuer, erste Werkzeuge entstehen, werden bearbeitet, werden immer komplizierter. Wie ein Feuerstein bearbeitet werden muss, um da raus eine Klinge herzustellen, worauf man bei der Jagd achten muss, um erfolgreich zu sein, dazu bedarf es einer Form von aus differenzierter Kommunikation. Bestimmte Gene und anatomische Besonderheiten wie ein Zungenbein oder die Broca – und Wernicke – Areale im Gehirn sind dazu notwendig. Die starke Auffaltung vergrößert dessen Oberfläche.
Wo es noch keine Schriftsprache gibt, wird Wissen über Erzählungen als „Oral History“ weitergegeben.
Aus zufälligen Funden wird tradiertes Know-How. Birkenpech befestigt als Kleber Klingen am Schaft
vor Speeren, Beilen oder Pfeilen. Wenn Birkenrinde im Feuer unter Luftabschluss zunächst verschwelte und dann wieder mit Sauerstoff in Kontakt kam, weil Holz nachgelegt wurde und die schwelende Rinde
verrutschte, entstand diese Masse, mit der nicht nur geklebt, sondern auch Gefäße oder Kanus abgedichtet werden konnten. Zunderschwamm ist leicht entflammbar und ein Feuer wärmt nicht nur, sondern erleichtert die Speisezubereitung und schützt vor wilden Tieren. Ein erzhaltiger Stein,der vielleicht als Windschutz dicht am Feuer gelegen hat, könnte sich soweit erhitzt haben, dass sich das darin enthaltene Kupfer verflüssigte und später wieder erstarrte. Aufmerksame Steinzeitmenschen konnten diesen Vorgang kontrolliert reproduzieren, aus weichem Kupfer wurde später durch „Verunreingung“ mit Zinn härtere Bronze, ideal für Klingen, aber auch viele andere Alltagsgegenstände: ein neues Zeitalter begann.
Diese scheinbar kopflosen Besucher schauen in das Diorama einer Höhle mit Zeichnungen, wie sie z.B.
in Lascaux, Chauvet oder Altamira gefunden wurden. Diese Höhlen könnten als Orte der Unterweisung
oder aber für rituelle Handlungen genutzt worden sein. Vielleicht bildeten sie in der Vorstellung unserer Altvorderen einen Zugang zur Geisterwelt, den man nur über tief in den Felsen reichende Gänge und unter Überwindung von Hindernissen erreichen konnte. Auf den letzten Metern beschäftigt sich die Ausstellung mit den großen Umschwüngen im Leben der Menschheit: Vom Nomaden zum Ackererbauern, von der Agrarkultur zur Industriegesellschaft mit allen ihren Segnungen und Bedrohungen für die Umwelt. Am Ende des Wegs steht das Familienbild des heutigen Menschen mit seinen Vorfahren.
Und nach all den Eindrücken die verdiente Tasse Kaffee in der Cafeteria.