Rahel-Varnhagen-Blog

Hagener Opfer der Wehrmachtjustiz

Der Projektkurs Geschichte des Rahel-Varnhagen-Kollegs (Koordination: Pablo Arias) und der Hagener Geschichtsverein sammeln Information über Hagener Wehrmachtdeserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz. Eine Ausstellung und eine Publikation werden im September 2021 vorgestellt.

Das Schulprojekt hat eine spannende Vorgeschichte. 2018 verlegten Hagener Schüler einen Stolperstein für den Wehrmachtdeserteur Eduard Dunker an der Franzstraße. Die Verlegung war dank finanzieller Unterstützung der Bezirksvertretung Eilpe und Rene Röspel, MdB,  möglich.

Eduard wurde 1942 mit 17 Jahren eingezogen und mehrmals wegen „unerlaubten Entfernens von der Truppe“ inhaftiert. Nach fast zwei Jahren in Wehrmachtgefängnissen, Strafeinheiten und KZs wurde er am 12.04.1945 zusammen mit elf weiteren, willkürlich ausgewählten Gefangenen von der Hagener Gestapo erschossen. Zwei Tage später befreiten die Amerikaner Hagen.

Während der Stolpersteinverlegung verlasen Eilper Schüler offene Fragen an das NS-Opfer, das kaum älter als sie geworden war. Warum desertierte er, sogar mehrmals? Was tat und sah er an der Front? In welcher Schule war er? Hatte er eine Arbeit, Lebenspläne, eine Freundin? Was dachte er, als er nachts von der Gestapo in seiner Zelle abgeholt wurde?

Um diese Fragen zu beantworten, fuhr der Projektkurs nach Torgau (Sachsen). Dank einer Spende von Rene Röspel besuchten die Schüler das berüchtigte Wehrmachtgefängnis Fort Zinna, in dem Eduard inhaftiert war. Die Spurensuche ging weiter im Dokumentations- und Informationszentrum Torgau, in dem die Biographien von Opfern der NS-Militärjustiz aus ganz Deutschland gesammelt werden. Hunderttausende Soldaten wurden in Eilverfahren, oft wegen Nichtigkeiten, zu unverhältnismäßig hohen Strafen verurteilt, sehr oft sogar zum Tode. Es war eine politische Justiz, die absoluten Gehorsam durch Abschreckung erreichen wollte.

In der Gedenkstätte fand der Projektkurs weitere Namen von Hagener Opfern und bekam Hinweise auf andere Archive, wie die Gedenkstätte Roter Ochse in Halle, die Landesarchive Osnabrück und Münster, das NS-Dokumentationszentrum Köln und das Hagener Stadtarchiv. Inzwischen haben die Schüler mehr als 50 Hagener Opfer der Wehrmachtjustiz identifiziert.

Ergänzend zu den Anfragen bei Archiven haben die Schüler Briefe und Mails an Hagener Bürger geschickt, die laut Telefonbuch die Nachnamen der ehemaligen Deserteure tragen, in der Hoffnung, Angehörige von ihnen zu finden. Mit einer Annonce in der „Westfalenpost“ vom 14.11.2020 setzten sie diese Suche fort, um Fotos und weitere Informationen für die Ausstellung zu erhalten. Der Verein „Hagener Friedenszeichen“ und der Hagener Geschichtsverein haben freundlicherweise die Kosten des Inserats übernommen.

Die Veröffentlichung der Annonce am Samstag vor dem Volkstrauertag war kein Zufall. Schon in den fünfziger Jahren spielte die Ehrung der NS-Opfer am Volkstrauertag eine nebensächliche Rolle. Es wurde hauptsächlich der gefallenen Soldaten gedacht. Deserteure und andere Opfer der Wehrmachtjustiz wurden bewusst ausgeschlossen. Sie galten bis 1998, teilweise bis 2009 als zu Recht verurteilte Verbrecher.

In Hagen lehnte der Stadtrat 1999 ein Mahnmal für Deserteure ab. Ein Mitglied des Vereins „Friedenszeichen“ ließ das Denkmal auf seinem privaten Grundstück vor der Synagoge errichten. Mit Hilfe von Unterlagen aus dem Privatarchiv von Herrn Kingreen wird der Streit um das Denkmal in der Ausstellung thematisiert.

In Hagen findet jährlich eine Kranzniederlegung vor dem Kriegerdenkmal im Stadtgarten statt. Die Veranstaltung dient offiziell der Erinnerung an die Opfer beider Weltkriege und der NS-Diktatur. Zu den letzten zählen eigentlich auch die Deserteure, die sich weigerten, in einem verbrecherischen Krieg zu kämpfen.